18 ~ Der Besuch bei Kassandra I ~

Auch unter Hexen galt es als unhöflich, einfach in die Wohnung zu apparieren. Also hielt Chellestrita vor dem 5-stöckigen Mietshaus, das ihre Freundin aufgekauft hatte und welches sie allein bewohnte. Wie immer drückte sie den Klingelknopf mit der Aufschrift „Unbewohnt“ und ebenfalls wie immer verschwand die schäbige Glastür zum Treppenhaus einfach. Chellestrita lief zügig nach oben in den zweiten Stock, wo ihre Freundin ihre Wohnung eingerichtet hatte. Sie spürte Kassandras Anwesenheit im Haus, als sie an der Tür klingelte. Sofort ertönte irgendwelche tibetische Meditationsmusik. Chellestrita blieb noch Zeit, zu denken: „Ich schaffe mir auch so eine singende Türklingel an!“, als Kassandra öffnete.
Beim Anblick ihrer Freundin musste Chellestrita jedoch heftig erschrecken. Das Gesicht, nahezu vollständig hinter einem wirren Wasserfall aus schwarzen Haaren verborgen, war blass und abgemagert. Die Nase war so spitz, wie die einer Toten. Die Hände, die aus den Ärmeln des Reiseumhanges lugten, waren ebenfalls weiß und mager, ja sogar ausgezehrt. „Kassandra! Schön, dass du wieder da bist“, sagte Chellestrita die alten, ausgezehrten Worte. Kassandra nahm Chellestritas Hand und zog sie mit einem Anflug ihrer alten Energie ins Wohnzimmer, ohne ein Wort zu sagen. „Hey, wandelnde Leiche, ich habe noch meine Schuhe an!“ wehrte sich Chellestrita eher vergeblich. Im Wohnzimmer ließ Kassandra sich in einen mit nachtblauem Samt überzogenen Sessel fallen und pfefferte ihre eigenen Schuhe vor die Tür. Nach einem kurzen Schulterzucken tat Chellestrita das Gleiche.
„He, Chelly!“ sagte Kassandra müde. Auch von ihrer vollen Stimme war nicht mehr viel geblieben und Chellestrita erschrak bei dem Gedanken daran, dass sie vollkommen gleich alt waren. Kassandra schien eine alte Frau zu sein, mager, ausgezehrt, ohne Lebenskraft. Und doch war sie erst 29, fast noch eine junge Frau.
„Wie ich. Und mein Leben scheint eben erst anzufangen, während ihrs sich vielleicht dem Ende zuneigt. Wieso?“ schrie Chellestritas Seele. Ja, es war eine große Ungerechtigkeit.

The dark Lady - reloaded - Teil 19

Lies weiter, sie erzählt es gleich.