Da war sie. Die Beule. Ich wunderte mich, warum ich sonst keine anderen Verletzungen davongetragen hatte. Ich war noch nicht einmal auf den Kopf gefallen. Und trotzdem hatte ich mitten auf meiner Stirn eine Beule. Wie ein Einhorn. Es brauchte einiges an Make-up um sie zu verstecken. Nachdem alles gut verdeckt war, ging ich wieder zurück in mein Wohnzimmer und wollte mit dem drehen für mein morgiges Video anfangen. Doch dazu kam es nicht. Mein Handy klingelte. Es war Marie. "Hey Marie." "Hey Nilam. Wie geht’s dir heute?" "Abgesehen von der Beule? Wunderbar. Wollte gerade ein Video drehen." "Du, es tut mir leid wegen gestern Abend. Manuel hat die falsche Weinflasche hochgebracht. Die hatte ich eigentlich für mich schon fertig gemischt." "Du hast Happinez in den Wein gemischt?" "Ja, aber die war nicht für euch- Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht..." "Das ich vor versammelter Gemeinschaft mein dunkelstes Geheimnis ausplaudere? Ist egal. Schon passiert. Wenigstens hat keiner dabei gevlogt." Ich versuchte Marie aufzumuntern, da mich ihre Bedrücktheit durch das Handy schon fast förmlich ziehen wollte. "Nein, hör mal. Wir sollten das besprechen. Wir sollten eine Sitzung einberufen." "Sitzung? Sind wir sowas wie ein Verein? Nein, Marie lass gut sein. Ich weiß, dass keiner der Leute, die da waren irgendetwas ausplaudern würden." "Trotzdem. Ich bin mir sicher, dass ich jemanden kenne, der dir helfen könnte." "Ich brauche keine Hilfe. Ich komme schon seit 24 Jahren gut auf der Erde ohne Hilfe zurecht. Na gut die ersten zehn Jahre vielleicht nicht gerade, aber das ist ein anderes Thema..."
Doch Marie ließ sich nicht so leicht abschütteln. Und so fand ich mich eine halbe Stunde später nicht vor meiner Kamera, sondern vor Maries Wohnung wieder.
"Also Marie, schieß los. Wer ist denn der mysteriöse Fremde, der mit helfen könnte? Gehst du neuerdings zum Psychiater?" "Nein, viel besser. Komm mit."
Wir gingen nicht gerade in die Beste Ecke Berlins. Sämtliche Betonfassaden waren mit Graphity besprüht und man sah den Boden kaum vor lauter Glasscherben. Doch Marie ließ sich davon nicht beindrucken und marschierte munter voraus, wohl wissend, dass ich Laufen nicht mochte.
"Wir sind da", Wir hielten direkt vor einer Betonwand auf der in mühevoller Handarbeit die Lebensweisheit "ACAB" gesprüht wurde. Mir schwante Übles. "Marie? Wir treffen doch jetzt nicht ernsthaft deinen Dealer? Wie nennt der sich nochmal?" "Die Zahnfee. Und sei nicht so voreingenommen. Du wirst sie mögen."
Wir starrten also auf die Betonwand. Und es passierte genau das, was ich erwartet hatte. Nichts. "Ach komm Marie, lasst uns wieder gehen. Ich friere mir hier den Allerwertesten ab." "Nein, sieh doch." Ich traute meinen Augen kaum. Von einer Sekunde auf die andere fing die Betonwand plötzlich zu vibrieren an, so als hätte jemand einen Stein ins Wasser geworfen, bis aus der Wand das kurioseste herauskam, was Nilam je gesehen hatte.
Ein ziemlich knochiges Pferd mit einer grau, bräunlichen Farbe (es könnte aber auch nur Dreck sein) mit roten Augen wankte über die Glasscherben und warf Marie und mich fast um. Auf seiner Stirn war etwas, was nach einem abgebrochenen Horn aussah. Beim Reiter war ich mir nicht sicher, ob es jetzt eine Frau oder ein Mann war. Die sehr weibliche Figur und der Stoppelbart schlossen aus beides. Mit der Zigarette im Mund nahm er/sie einen Schluck aus einer unetikettierten grünen Flasche und warf sich dann mit einem beherzten Sprung von seinem Ross. Mit einem Knirschenden Geräusch landete es auf dem Boden. "S´geht Märrie?", die Stimme hörte sich ziemlich dunkel an, also blieb ich erst einmal beim er. Er rappelte sich auch und wischte sich den Mund ab. "Brauchste wieder ´n bisschen Happinez? Seh´ du hast ‘n neuen Kunden mitgebracht." Er starrte mich mit seinen gelblich verlaufenen Augen an oder versuchte zumindest einen Punk an mir zu fokussieren. "Nilam ist hier, um deinen Rat zu erfragen." "Sie is ne Außerirdische, ich weiß. Und sie frächt nich um Rat, das machst du." Er strauchelte und hielt sich an der Wand fest, um nicht hinzufallen. Er griff in seine speckige Jeanshose und warf Marie ein kleines, rosa Päckchen zu. Marie klemmte es unter ihren Arm und holte aus ihrem Jutebeutel zwei Flasche Bier vom Späti und eine To-go Essensbox vom Chinesen heraus, die stark nach gebratenem Reis roch. "Du bist ‘n Schatz Märrie." Er öffnete eine Bierflasche mit seinen Zähnen und nahm einen tiefen Schluck daraus. "Ah Avalon. So schaust du doch gleich weniger scheiße aus." Er packte die Sachen in die Satteltaschen seines Einhorns. Dann wischte er sich wieder die Hände an seiner Jeans ab. "Un, was nu´? Jetzt wollt ihr noch nen elfischen Rat von mir, oder was?" "Deswegen sind wir hier." "Ach Märrie. Dachte du bist hier, um deinem alten Freund zu helfen. Aber jut. Der Schleim, den eure Freunde im Keller abbauen wird euch helfen. Das ist so eine Art Transmitterdings. Ihr brauch dazu allerdings noch so ne Art Gegenstück. Und das ist recht selten. Das gib´s nur an einem Ort." "Wo", harkte ich nach. "Simpsons Gap. Northern Territory. In Australien." "In Australien?", Ich wendete mich Marie zu. "Auf keinen Fall. Wir können doch nicht..." "Wir könnten Manniac fragen. Der war doch eine Zeitlang dort", Marie hatte wieder ihr Orgagesicht aufgesetzt. "Du Marie, nein. Ihr müsst doch wegen mir nicht extra nach Australien fahren. Mir geht’s gut. Alles in Ordnung." "Was heißt hier ihr? Du kommst natürlich mit. Du und die Spacies natürlich und ich und Manniac. Vielleicht nehmen wir Batz auch noch mit. Das wird toll." "Ja, so wie deine Idee mit der Party", murmelte ich. Hilfe suchend blickte ich zur Zahnfee, doch der war wieder auf sein Einhorn gestiegen. "Was wären ´s Leben ohne Abenteuer? Da brauchste doch viel mehr Alk ums zu ertragen. Und wegen der Beule mach dir mal kein´ Kopp. Tu einfach ´n bissl Happinez drauf. Hilft besser als dein Schminkzeuch. Also ich hau mal wieder ab. Bis übermorchen Märrie. Bis bald Nilam." Und dann verschwand er wieder durch die Betonwand.