Viele Kilometer weit weg von der Hauptstadt in einem kleinen beschaulichen Ort in Franken stieg eine atombombenhohe Rauchwolke auf. So stellte ich es mir jedenfalls vor, dass es für Außenstehende so aussah. Ich konnte nichts dafür. Ich hatte Hunger. Meine Eltern waren nicht zu Hause und wir hatten auch keine Fertiggerichte mehr in der Kühltruhe. Und ich schwöre, ich bin nur eine halbe Minute aus der Küche gegangen, um zu checken, ob mein Video auch hoch lud, oder ob der Uploader von YouTube wieder rumspackte...
Als ich zurückkam, sah ich ein Schlachtfeld: die Herdplatte war komplett verschmiert mit einer teigähnlichen Substanz überall lagen Töpfe und Pfannen herum, das ganze Besteck war aus dem Besteckkasten geworfen worden und lag nun wild verstreut in der ganzen Küche herum. An der Küchendecke klebte etwas, das verdächtig nach Ketchup aussah, an den Wänden ein Gemisch aus Reis und Spaghetti und in einer Ecke stand ein explodierter Schnellkochtopf.
Und dabei wollte ich mir nur ein Spiegelei machen.
Ich rannte wieder zurück in mein Zimmer um die Schuldige zur Rede zu stellen, doch diese wartete schon mit miesepetriger Miene auf mich. Wie mein Spiegelbild sah sie aus, jedoch die Haare zu einem Zopf geflochten und eine Kochmütze auf dem Kopf. "Das war nicht nett." Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an den Rand des Spiegels, in dem sie gefangen war. "Was war den bitte schön jetzt schon wieder mein Fehler? Schau dir an, was du gemacht hast! Meine Eltern werden mich umbringen." Ich raufte mir die Haare und schwenkte meinen Taschenspiegel in Richtung Küche. "Es ist alles deine Schuld. Warum musstest du auch dieses dumme Video drehen?" Sie schüttelte den Kopf. "Welches Video bitteschön? Du weißt, ich mach das Beruflich." "Na das mit dem Gesicht auf der Terassentür. Du weißt genau, dass ich das war. "Ach du meinst ´Todesangst (allein zu Hause)´?" "Weiß doch ich nicht, wie du deine Videos nennst." Ich verdrehte die Augen. Sie war manchmal wirklich anstrengend. "Ich kann doch schlecht erzählen, dass die Backfee in meinem Spiegel feststeckt und immer wieder auftaucht, wenn ich sie am wenigsten gebrauchen kann. Außerdem hat sich meine Mutter das Video gewünscht. Da kann ich ja schlecht nein sagen." Sie verzog ihr Gesicht. Ich sah schon: in den nächsten zwei Wochen würde jeder Kaffee, den ich mir machte, nach Essig schmecken. Zumindest glaubte sie das mit meiner Mutter. Das war nämlich vollkommen gelogen. Eigentlich wollte ich mir in dem Video nur meinen Frust von der Seele reden. Das wilde Leben der Kelly S. Verwirrt, verrückt und von der Backfee verflucht. Und das alles nur, weil ich als sechsjährige ihr aus Versehen ihren goldenen Kochlöffel zerbrochen habe. "Deine Videos sind sowieso alle kacke." Oh nein, jetzt war sie schon wieder in ihrem Meckermodus. "Immer dieses `Kelly kommentiert Kommentare`. Mach doch mal was Nützliches." "Wie zum Beispiel Back- und Kochvideos?" "Nein. Sowas wie der Zauberer macht. Oder die rote Fee. Oder die Außerirdische." "Wer soll denn das sein?" "Keine Ahnung, ich merk mir da doch keine Namen." Ich atmete tief aus und ein. Das ich oder meine Hater meine Videos Scheisse fanden, war schon noch einigermaßen in Ordnung, aber mein eigenes Spiegelbild? Das musste ein Ende haben. Ich war kurz davor ihr einfach eine reinzuhauen. Das einzige was mich davon abhielt, war mein alberner Aberglaube, dass ein zerbrochener Spiegel sieben Jahre Unglück hinter sich bringt. Also zwang ich mich zur Ruhe. "Sag mir einfach, wie ich dich loswerd... ich meine, wie ich dich befreien kann und ich verspreche dir, ich werde alles Mögliche tun." "Du musst mit Fanferlüsch reden." "Fanferlüsch?" "Ja. Er hat mich verbannt." "Ach ja. Weil du diesen Kuchen verbrannt hast." "Weil ich meinen goldenen Kochlöffel nicht hatte. Und es war kein Kuchen, sondern die königliche Hochzeitstorte." Und dann folgte dieselbe Story, die sie mir jedes Mal erzählte, wenn sie sauer war. Das wegen der blöden misslungenen Hochzeitstorte die Hochzeit abgesagt wurde. Die Hochzeit zwischen der guten Fee und der bösen Fee, die Gut und Böse wieder ins Gleichgewicht gebracht hätte. Eine verdammte Hochzeit abgesagt wegen einem blöden Kuchen. Ich hasse Kuchen.