Lieber Albus, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, hast du mir einen Vorschlag gemacht, der mir zu absurd erschien, als dass ich darauf hätte eingehen können, doch heute ist mir klar geworden, dass ich hier nicht bleiben kann, dass meine Anwesenheit für alle meine Nachbarn immer eine Gefahr sein wird, solange diesem Tom Riddle nicht das Handwerk gelegt wird. Wenn du glaubst, dass damit nicht wieder Menschen, vor allem Kinder in Gefahr gebracht werden, dann werde ich deinen Vorschlag von damals annehmen. Du weißt, ich werde alles, wirklich a l l e s tun, um diesen Wahnsinnigen zur Strecke zu bringen. Das Haus, in dem ich die letzten paar Jahre gewohnt habe, ist heute eingestürzt – wie weggesprengt – alle reden von einer Gasexplosion, aber es gab bei uns kein Gas! Und so viele Opfer! Ich bin sicher – nur du kannst herausfinden, ob es ein Fluch war, ob dieser Riddle dahinter steckt. Du weißt, dass ich nicht auf dem „üblichen Wege“ mit dir Verbindung aufnehmen kann. Ich warte im Tropfenden Kessel. Wirst du mir helfen? Ich hoffe, bald von dir zu hören. Liebe Grüße Charity Burbage
Sie rollte das Pergament zusammen und ging langsam zum Tresen, wo sie Toms Eule den Brief ans Bein band. Sie sah dem Tier nach, wie es in den dunklen Abendhimmel verschwand und überlegte, was ihr nun noch zu tun blieb. Gedankenverloren streichelte sie ihre Katze, die inzwischen von ihrer Schulter heruntergesprungen war und zwischen den Gästen umherlief. Tom hatte ihr sogar etwas Katzenfutter hingestellt, sie selbst bat nur um ein Glas Wasser, sie würde heute keinen Bissen mehr hinunter bekommen... Charity warf dem Wirt einen dankbaren Blick zu und dachte an ihre letzte Begegnung mit dem anderen Tom, Tom Riddle. Es war in den Ferien, und das erste, was ihr aufgefallen war, war sein Gang. Er hielt sich irgendwie gerader, wirkte noch selbstsicherer, ja sogar überheblich. Sein Blick fiel immer wieder auf einen seltsamen Ring, den er an der rechten Hand trug. Er sah aus wie ein Siegelring, soweit sie das sehen konnte, mit einem merkwürdigen Symbol auf dem Stein, ein Strich, um den sich ein Kreis schloss, der wiederum von einem Dreieck umschlossen wurde. Tom, der bemerkt hatte, dass sie seinen Blicken gefolgt war, hielt die Hand hoch und sagte: „Ein altes Familienerbstück...“ - Der Ton dieser paar Worte ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie zwang sich, in seine Augen zu schauen und entdeckte dort die Wahrheit, die er vor allen anderen, nicht aber vor ihr verbergen konnte – er hatte getötet! Sie schauderte:„Tom, was hast du getan?“ - Der zuckte nur gleichgültig die Schultern: „Gar nichts, jedenfalls nichts, was dich etwas angeht.“ Sie erinnerte sich noch genau an das Gefühl, dieses Schaudern, als wäre es plötzlich im Raum kälter geworden, als hätte sich Toms Gesicht ebenfalls verändert, eine Mischung aus Befriedigung und Gier, die seine Züge irgendwie verzerrte. Sie konnte das nicht in Worte fassen, aber es machte ihr Angst, und genau das hatte sie Albus auch gesagt – und dabei das Gefühl gehabt, dass er vielleicht der einzige Mensch war, der verstehen konnte, was sie meinte. Albus – jedes Mal, wenn sie miteinander gesprochen hatten, hatte nicht nur er etwas über Tom Riddle erfahren, nein, sie hatte auch vieles über Albus erfahren, vieles, was er eigentlich niemandem erzählen wollte. Sie hatte diese Art, so genau zuzuhören, dass sie die kleinste Nuance, das kleinste Zögern, stets bemerkte und ihre Gesprächspartner dabei so genau beobachtete, dass sie Dinge erfuhr, die diese eigentlich verbergen wollten. Sie hatte Albus' Augen beobachtet, als sie ihm von ihrer Familie erzählt hatte, und dabei seinen wunden Punkt erkannt, ohne dass er ein Wort gesagt hatte. Und ohne dass er es wollte, hatte er dann zu ihr von Ariana gesprochen, von seinen Eltern... Und am Ende – sie hatte ihn mit keinem Wort unterbrochen – hatte sie ihn lange angesehen und eindringlich geflüstert: „Albus, du hast nicht deine gesamte Familie verloren, du hast noch einen Bruder. Du kannst immer noch etwas gutmachen.“ Sie wusste, dass er nach diesem Gespräch öfter im „Eberkopf“ vorbeigeschaut hatte... Albus hatte ihr auch von Grindelwald erzählt, und sie bezweifelte, dass dies außer ihr noch irgend jemand wusste. Sie hütete seine Geheimnisse – und er hütete das ihre, es war nur ein kleines Geheimnis, verglichen mit all den vielen großen... Die Katze hatte es sich auf ihrem Schoß bequem gemacht – ein kleines Stück Normalität an diesem ganz und gar nicht normalen Abend.
„Charity, Guten Abend, wie schön, dass es dir gut geht. Ich habe schon gehört, was passiert ist – und ich bin sicher, dein Instinkt hat dich nicht getrogen.“ Die hochgewachsene Gestalt von Albus Dumbledore beherrschte den Raum – alle sahen zu ihm hin und musterten die unscheinbare kleine Frau mit großer Neugier – Albus schien sie gut zu kennen. Er setzte sich zu ihr an den Tisch und die Katze strich ihm um die Beine und schnurrte. Da bemerkte sie es: „Albus, was ist mit deiner Hand passiert, hast du Schmerzen?“ - Dumbledore zog den Ärmel seines Umhangs über die geschwärzte, wie verdorrt aussehende Hand und machte damit deutlich, dass er jetzt nicht darüber reden wollte. Ihr Blick war ebenso deutlich, er wusste, dass sie ihn früher oder später dazu bringen würde, es zu erzählen, und sie wusste, dass er es wusste, also bohrte sie nicht weiter nach. „Ich war schon an der Stelle, an der das Haus gestanden hat. Ein sehr mächtiger Fluch hat es zum Einsturz gebracht, daran besteht kein Zweifel.“ „Aber war das nicht dumm, hätte er sich nicht überzeugen müssen, dass ich im Haus bin...?“ - Albus schüttelte langsam den Kopf: „Das ist ihm inzwischen egal, ich bin überzeugt, er hat einen seiner Handlanger, einen seiner Todesser geschickt, und auf ein paar Tote mehr oder weniger kommt es ihm nicht an.“ Sie schaute ihm in die Augen: „ Albus, was soll ich nur tun – in meiner Gegenwart ist doch keiner mehr sicher? All diese Leute – sie sind tot – und das nur, weil dieser Riddle mich umbringen wollte!“ Dumbledore legte ihr behutsam seine Hand auf den Arm: „ Es gibt einen sicheren Ort für dich – Hogwarts.“ - „Albus, das kannst du doch unmöglich ernst meinen, wie soll denn das funktionieren?“ - „Aber Charity, du zweifelst doch nicht etwa an meinen magischen Fähigkeiten?“ „An deinen nicht, Albus, aber...“ Auch nachdem Dumbledore ihr seinen Plan in allen Einzelheiten erläutert hatte, einen Plan, bei dem so vieles schiefgehen konnte, war sie noch voller Zweifel und Sorge, doch in einem hatte Albus Recht, es gab keine andere Möglichkeit, wenn sie nicht noch mehr Menschen in Gefahr bringen wollte – und so setzte sie sich ihre Katze auf die Schulter und ging mit Dumbledore hinaus in die Dunkelheit.
Ich glaube, es ist am Sinnvollsten, wenn ich den Gesamteindruck in den zweiten Teil reinposte :).
Es war durchaus interessant, was zwischen den Zeilen geblieben ist bei diesem ersten Kapitel. Charity kann also den Tropfenden Kessel aus irgendeinem Grund nicht sehen, aber sie ist gleichzeitig in Hogwarts gewesen und zwar zeitgleich mit Tom Riddle, auch wenn hier noch nicht klar war (jedenfalls für mich), wie alt sie damals war. Was mich natürlich zu den wildesten Vermutungen führt, wo Charity steht. Sie kann kein Muggel sein, aber ist scheinbar auch keine vollwertige Hexe? Eine Squibb vielleicht? Neugierig bin ich jetzt auf alle Fälle und ich bin gespannt, was Dumbledore (außer dem Offensichtlichen, dass sie Lehrerin wird) geplant hat für sie :)
Ich weiß gar nicht, wo ich die Fährte hingelegt habe, dass man auf die Idee kommen könnte, Charity kenne Tom Riddle aus Hogwarts. Ich verrate nur so viel - sie kennen einander von früher, aber nicht aus Hogwarts.
Und wie das mit den Plänen so ist - es kommt meistens anders, als man denkt.
Dann hast du mich fehlgeleitet - ich dachte aus irgendeinem Grund, wenn sie einander getroffen haben nach dem Mord an den Gaunts dann KANN das nur in Hogwarts sein. Aber jetzt bin ich noch neugieriger, wo sie sich getroffen haben :O