Doch Charity war viel zu begierig auf Neuigkeiten, um jetzt viele Worte zu machen, also sagte sie ganz einfach: „Ich bin keine Hexe, ich glaube, Menschen wie mich nennt man in Ihrer Welt Muggel.“ - „Aber Sie haben in Hogwarts unterrichtet, Sie wurden immer als eine alte Freundin von Dumbledore vorgestellt, Sie waren doch auch im 'Tropfenden Kessel', das ist doch nicht möglich!“
„Ich bin eine alte Freundin von Albus – wir kennen einander wirklich schon sehr lange, ich habe diesen Tom, den Sie jetzt alle Voldemort nennen, schon als Kind gekannt – und Albus vor ihm gewarnt. Ich habe schon als Kind die meisten seiner tückischen Pläne durchschaut, auch wenn die Erwachsenen dies nicht konnten. Und er wusste es! - Diese falsche Aura des Geheimnisvollen, die er um sich herum aufgebaut hat, die Maske des Dunklen Lords,“ - ihre Stimme war voller Verachtung, „all das drohte zerstört zu werden von einer kleinen alten Frau.“ Sie kicherte leise vor sich hin. „Wie das seinen Todessern wohl gefallen hätte, wenn ich ihn mit seinem wahren Namen angesprochen hätte – Tom Riddle, benannt nach seinem Vater, der ein Muggel war, oh, das hätte ihm gerade noch gefehlt, dem Verfechter des reinen Blutes, dem 'Lord Voldemort' , was er für eine Angst davor hatte, dass ich nur ein einziges Wörtchen sagen könnte – er hat mich sogar mit einem Schweigezauber belegt, damit nur niemand etwas von seiner Muggel-Vergangenheit in einem Londoner Waisenhaus erfährt.“
Dumbledore fasste Rufus beherzt am Arm und fügte noch hinzu: „Und denke daran, es gibt noch jemanden, den Voldemort fürchtet, auch wenn er es nicht offen zugeben kann vor seinen Anhängern, aber er fürchtet Harry Potter, den Auserwählten.“ „Dann ist er es also wirklich?“ Rufus' Stimme zitterte ein wenig. „Dann war es nicht vergebens ...?“ Alastor Moody, der die ganze Zeit aufmerksam zugehört hatte, brummte: „Nein, Mr. Scrimgeour, Ihr Opfer hat Harry Zeit verschafft, ihm vielleicht sogar das Leben gerettet.“ „Vor allem aber hat es diesem Wahnsinnigen und seinen Helfershelfern ihre Grenzen gezeigt, das ist vielleicht noch viel wichtiger!“ Erstaunt schauten die drei Männer Charity an. So hart hatte ihre Stimme noch nie geklungen. „Ich hätte ja auch nie erfahren, wo Harry versteckt wurde, wenn ich nicht im Auftrag des Ministeriums Ihr Testament hätte vollstrecken müssen. Dieses Erbe – was haben Sie denn damit bezweckt? Niemand von den dreien, weder Mr. Weasley, noch Miss Granger – und erst recht nicht Mr. Potter, wollte mir sagen, was es damit auf sich hatte. Sie waren ziemlich verstockt, ich hätte mich beinahe hinreißen lassen ... Bitte, Sie müssen das verstehen – eine Menge Geheimnisse – direkt vor meiner Nase – und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was Ihr Testament zu bedeuten hatte. Was sollte diese Geheimniskrämerei? Und dann das Schwert von Gryffindor – Sie wussten doch bestimmt ganz genau, dass Sie kein Recht hatten, über dieses wertvolle Artefakt zu verfügen?“ Albus‘ blaue Augen blitzten: „Na ja, einen Versuch war's wert, Rufus, wirklich.“ Dann setzte er hinzu: „Oh ja, mein Erbe ... Ich glaube, als Sie den dreien die ihnen zugedachten Gegenstände übergeben haben, war ihnen der Sinn selbst noch nicht klar, sie werden es erst noch herausfinden. - Hoffentlich ...“ Dumbledore hatte es für eine gute Idee gehalten, jedem der drei Freunde etwas zu vermachen. Natürlich durfte er nicht offen schreiben, welchen Grund diese Erbschaft hatte und weshalb jedem von den dreien gerade dieser Gegenstand hinterlassen wurde. Er hatte darauf vertraut, dass sie es herausfinden würden, doch so langsam kam er ins Grübeln, ob er nicht zu viel vorausgesetzt hatte. Sein altes Buch von Beedle dem Barden, der Deluminator, Gryffindors Schwert … Doch auch wenn das Schwert nicht übergeben worden war – Harry würde wissen, warum es im Testament erwähnt wurde, er würde wissen, wozu es dienen konnte. Würde er das? Erwartete er nicht zu viel? Hatte er dem Jungen eine zu große Last aufgebürdet? Dumbledores Zweifel spiegelten sich in seinem Gesicht wider. „Du vermagst jetzt nichts mehr zu ändern, Albus. Wir können nur abwarten.“ Charitys Worte drangen nur langsam zu ihm durch. Und diesmal war er es, der entgegnete: „Und hoffen.“
„Eines würde ich gern noch erfahren.“ Rufus' Bass riss sie aus ihren Gedanken, „Wieso sind Sie eigentlich noch hier, warum sind Sie nicht weiter gegangen? Haben Sie nicht immer gesagt, dass für den gut vorbereiteten Geist der Tod nur das nächste große Abenteuer ist?“ Alastor Moody schmunzelte: „Genau das habe ich auch gedacht, als ich den alten Knaben hier entdeckte. Wir warten hier auf Harry.“ „Dann erwartet ihn auch der Tod, ich dachte, er könnte Voldemort besiegen?“ Rufus klang enttäuscht. „Wenn ich mich nicht irre – und ich irre mich selten, wie du weißt, dann wird Harry, wenn er hierher gelangt, sofort weiter gehen wollen, weil er an seine Eltern denkt, an seinen Paten, vielleicht auch noch an andere, die im Kampf gegen Voldemort möglicherweise noch den Tod finden werden. Aber das darf er noch nicht. Er muss zurück.“ - „Aber es gibt keinen Weg zurück!“ - „Für Harry wird es einen Weg geben, es ist eine Frage der richtigen Entscheidung. Deshalb warte ich auf ihn, ich muss ihn dazu bringen, zurückzugehen, unbedingt, damit er all dem Schrecken endgültig ein Ende machen kann. Aber ich weiß nicht, wann er kommt, das hängt von so vielen Dingen ab, ich fürchte, es wird noch lange dauern ...“ „Wie schon gesagt, Zeit spielt hier keine Rolle, wir können warten. Sie können gern weiter gehen, wenn Sie möchten, Mr. Scrimgeour. Um uns das Warten etwas angenehmer zu gestalten, habe ich angefangen, eine lange Geschichte zu erzählen, Sie sind eingeladen, zuzuhören, wenn Sie das möchten.“ Albus' blaue Augen blitzten wieder schelmisch, als er erklärte: „Stell dir vor, in der Geschichte kommt ein Zauberer vor, der mir ähnlich sieht, es gibt darin Elfen und Zwerge, am besten, du fängst noch einmal von vorn an, Charity, denn Alastor kennt ja den Anfang auch noch nicht – und ich höre dir gern zu, du kannst alles so gut beschreiben, dass man richtig eintauchen kann in diese Welt von Mittelerde ...“ Während sich Charity bequem hinsetzte, um mit dieser wirklich sehr langen Geschichte von vorn zu beginnen, beschlich sie ein ungutes Gefühl, das in dem wenig tröstlichen Gedanken gipfelte: Je mehr sie von ihrem Lieblingsbuch erzählen konnte, desto länger mussten Tom Riddles Opfer leiden. Was nur ging vor auf der anderen Seite des Vorhangs? Wie viele unerwartete Begegnungen würde es noch geben, bis endlich Harry Potter hier auftauchen würde? Und würde er überhaupt auftauchen? Sie spürte, dass auch die anderen von ähnlichen Sorgen bewegt wurden, aber wie sie schon selbst gesagt hatte – sie konnten von hier aus nichts tun. Außer zu warten und zu hoffen blieb ihnen nichts übrig. Also hub sie an zu erzählen und entführte ihre Zuhörer in Tolkiens Welt, nach Mittelerde. Und während sie vor aller Augen diese Welt entstehen ließ, während sie von Frodo und seiner schier endlosen, abenteuerlichen Wanderung auf dem Weg nach Mordor sprach, bemerkte sie, wie sich vor ihrem inneren Auge Harrys Gesicht vor das des kleinen Hobbits schob, und sie verstand auf einmal mit der ihr eigenen intuitiven Sicherheit, warum Dumbledore und die anderen so fasziniert zuhörten, war doch die Aufgabe der drei Freunde, die ausgezogen waren, Voldemort zu besiegen, nicht weniger aussichtslos als die der Gefährten. Und doch hatten sie sich entschlossen ... Tolkiens Geschichte gab ihnen eine andere Art von Trost, es war ein Stück Hoffnung.
Dumbledores Begründung für das Vermachen des Schwertes "Es hätte ja klappen können" ist göttlich und irgendwie typisch Dumledore. Und der Gedanke, dass die Gruppe im Reich zwischen Jenseits und Reich der Lebenden sitzt und sich "Herr der Ringe" erzählen lässt, ist echt schön. Gerade weil auch das eine Geschichte erzählt, bei der trotz aller Aussichtslosigkeit alles gut wurde.