Charity durchforstete ihre Erinnerungen vergeblich nach diesem Menschen, der sich mit raschen, energische Schritten näherte, doch da war kein Erkennen in ihren Augen. Doch das war kein Wunder, denn so hatte sie ihn noch nie gesehen, mit zwei gesunden Beinen und einem makellosen Gesicht … Unsicher schaute sie den Ankömmling an, sah danach zu Dumbledore, der - scheinbar alle guten Manieren vergessend - auf ihn zustürzte und ihn mit einer wahren Flut von Fragen bombardierte: „Hat es nicht funktioniert mit dem Vielsafttrank? Wo ist Harry? Ist er in Sicherheit? Was macht Voldemort? Was ist mit dem Orden? Was ist passiert mit dir, Alastor?“ Alastor – natürlich, jetzt wusste sie auch, wer der Mann war, Alastor Moody, den alle immer Mad-Eye genannt hatten. In seinem jetzigen, unversehrten Zustand, ohne seine Beinprothese und ohne sein magisches Auge war er ihr so fremd vorgekommen ... Alastor Moody, der alte Haudegen, es war kaum zu glauben – er war tot. - Und er schien nicht minder aufgeregt als Dumbledore: „Es muss noch einen Verräter geben im Orden – die Todesser kannten das genaue Datum – wir waren sofort von ihnen umzingelt – und Snape, diese miese Ratte, er hat seinen Spezialfluch eingesetzt – oh, wie er gekämpft hat an der Seite von Voldemort!“ „Kein schlechtes Wort über Severus! Bitte!“ Albus‘ Stimme hatte einen eigenartigen Klang, der Alastor erstaunt innehalten ließ. „Ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen“, flüsterte der Auror hilflos und musterte dabei die kleine Frau, die so vertraut mit Dumbledore schien. Wo hatte er sie nur schon einmal gesehen? Und warum wollte Dumbledore nicht hören, was für ein fieser, gerissener Verräter dieser Snape ist? Die Jagd auf Potter und das, was er George Weasley angetan hat – das konnte man nun wirklich nicht mit seiner Agententätigkeit entschuldigen! „Ich habe ihm nie wirklich getraut, ich hätte meinem Instinkt folgen sollen“, murmelte er kaum hörbar vor sich hin. Charitys Augen hielten seinen Blick fest: „Nicht immer ist das, was unsere Augen sehen, die Wahrheit.“ Noch bevor Albus auch nur zu einer Erklärung ansetzen konnte, stellte sich Charity zwischen die beiden und fasste behutsam einen jeden von ihnen am Arm. Wie aus dem Nichts standen plötzlich drei bequeme Sessel bereit, ganz ähnlich denen, die Dumbledore immer heraufbeschworen hatte, und mit einer Kraft, die gar nicht zu dieser schmächtigen kleinen Frau zu passen schien, zwang Charity die beiden Männer, sich zu setzen und sagte dazu energisch, als würde sie zu ihren Schülern sprechen: „Nun mal langsam, meine Herren, wir haben so viel Zeit, also bitte – in Ruhe - und der Reihe nach.“ Alastor lächelte: „Respekt, mein Sessel ist genauso bequem wie die von Albus, das haben Sie gut gemacht.“ - „Das war ich nicht, ich weiß nicht, wie... - Albus, warst du das?“ Dumbledore schaute abwechselnd zu Charity und zu Moody, dann erklärte er: „Dieser Ort hat seine ganz eigene Magie“, und mit einem Schmunzeln fügte er hinzu: „Ja, auch für dich, Charity.“ Bei der Nennung dieses Namens runzelte Alastor die Stirn: „Natürlich, Mrs. Burbage, jetzt erkenne ich Sie erst, ich wusste doch, dass dieses Käseblatt nur Mist und Lügen verbreitet!“ Auf ihren verständnislosen Blick antwortete er: „Im Tagespropheten stand, dass Sie gekündigt haben und in den Ruhestand gegangen sind, um ihren Lebensabend zu genießen! Nicht ein Wort über Ihren Tod, kein Nachruf – nichts!“ Und ganz leise setzte er hinzu: „Es ist genau wie damals, Leute verschwinden spurlos, aber es gibt nichts Greifbares, keine Nachforschungen, nur Vermutungen und Angst, überall kann man sie spüren – die Leute wissen nicht, wem sie noch trauen können ...“ Dumbledore strich sich mit der Hand über den Bart: „Ja, Alastor, du hast Recht, es scheint wie damals zu sein, aber ich glaube, diesmal könnte es gelingen, Voldemort endgültig zu besiegen.“ „Ach, Albus, du und deine Vermutungen, du hast uns eine Menge Scherereien eingebrockt mit deinem Vertrauen in Snape. Wie konntest du nur so dumm sein, du, Albus Dumbledore, der einzige, den ER je fürchtete? Dein ewiges 'Ich vertraue Severus Snape.' - das hast du nun davon, er hat dich eiskalt umgebracht, dieser Schurke.“ Alastor schüttelte den Kopf: „Du und dein Vertrauen in das Gute in jedem – ich habe ihm nie ganz getraut, aber du wolltest ja nie etwas Schlechtes über ihn hören, hast ihn immer um dich gehabt in Hogwarts, deinen Zaubertrankmeister und Lehrer, und nichts gemerkt von seinem doppelten Spiel, seinem Betrug, hast nicht gemerkt, dass er in Wahrheit immer auf Voldemorts Seite stand. All diese Jahre hat er in Hogwarts auf seine Stunde gewartet – jetzt wird er wahrscheinlich Schulleiter werden – und die Schüler sind Voldemorts Handlanger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert! Albus, wie konntest du nur so einen Fehler machen?“