„Ich glaube, ich kann Ihnen behilflich sein.“ Diese mädchenhafte Stimme kannte sie doch. Unwillig wandte sich Bellatrix Lestrange um: „Ah, Mrs. Umbridge, Sie wissen doch, den Dunklen Lord interessiert nur eines: Wo ist Harry Potter? Können Sie mir das sagen?“ Umbridges krötenartiges Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Ich kann Ihnen sagen, wer es weiß. Gehen wir doch in mein Büro“ Gespannt beugte sich Bellatrix zu ihr hinunter: „Ich höre...“ Umbridge trippelte beflissen neben Bellatrix her und erklärte: „Dumbledore hat Harry Potter in seinem Testament bedacht, der Minister persönlich hat ihm und seinen nichtsnutzigen Freunden die ihnen zugedachten Dinge überbringen müssen. Rufus Scrimgeour weiß ganz genau, wo Potter steckt. Auch wenn er es abstreiten sollte – ich weiß, dass er dort war. Ich habe gehört, wie er gesagt hat, dass dieses Bürschchen keinerlei Respekt vor ihm hatte.“ Inzwischen waren sie vor Umbridges Büro angekommen. Als sie sich am Schloss ihrer Bürotür zu schaffen machte, fiel Bellatrix das große goldene Medaillon auf, das Dolores um den Hals trug. „Ein schönes Schmuckstück haben Sie da, es sieht sehr alt aus...“ Umbridge strich mit der Hand über das große S auf dem Deckel und erklärte: „Es ist antik, wissen Sie, ein Familienerbstück, das S steht für Selwyn, müssen Sie wissen, ja, ich bin mit den Selwyns verwandt, uralte Familie, Reinblüter selbstverständlich.“ Inzwischen war die Bürotür offen, Umbridge barg das Medaillon unter ihrer rosa Strickweste und Bellatrix rümpfte die Nase, als sie all die geschmacklosen Kätzchen auf ihren Tellern und Bildern an den Wänden sah. Doch dann verzog sich ihr Gesicht zu so etwas wie einem Lächeln, als sie ein Bild von Harry Potter an der Wand erblickte, auf dem zu lesen war: „Muss bestraft werden!“ - „Sie sind sich ganz sicher, dass der alte Rufus Harrys Versteck kennt?“ - „Oh ja, er ist mindestens einmal dort gewesen, das weiß ich ganz sicher, ich habe ja gehört, wie er darüber gesprochen hat, wie unzufrieden er mit Harrys Benehmen war. Dieser Junge hat keinerlei Respekt vor Autoritäten! Ja, Mr. Scrimgeour weiß genau, wo sich dieser Potter versteckt hält.“ Mit einem Kichern wandte Umbridge sich um: „Verstehen Sie mich nicht falsch, meine Ergebenheit, meine Loyalität gilt einzig und allein dem Ministerium.“ Angewidert sah Bellatrix auf sie hinunter. Voller Verachtung dachte sie: Du bist um Fudge herumscharwenzelt, hast anschließend Scrimgeour umschmeichelt, als ob du je irgendeinem gegenüber loyal gewesen wärst – außer dir selbst gegenüber – dich interessiert doch nur eines: Aufstieg und Macht, aber solche wie dich wissen wir zu nehmen – und zu nutzen ... Laut aber antwortete sie: „Sie waren uns eine große Hilfe, Mrs. Umbridge, der Dunkle Lord wird sich dessen erinnern.“ Bellatrix wandte sich zum Gehen, doch dann drehte sie sich noch einmal um und holte etwas aus der Tasche ihres Umhangs. Sie ließ den Gegenstand mit herablassender Geste in Umbridges Hand fallen und flüsterte: „Eine kleine Belohnung für Ihr Entgegenkommen und Ihre Hilfe.“ Dann lachte sie laut auf und mit übertrieben krächzender Stimme fügte sie hinzu: „Und immer wachsam!“ Laut lachend ging sie hinaus, auf der Suche nach Rufus Scrimgeour, während Dolores den kleinen Gegenstand in ihrer Hand betrachtete. Es war ein magisches Auge. Sie hatte es schon oft gesehen, das linke Auge von Alastor Moody ... Jedem anderen hätte dieses Geschenk wahrscheinlich einen Schauder über den Rücken gejagt, doch Dolores zuckte nicht einmal, als ihr bewusst wurde, was sie da in ihrer Hand hielt. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Ganz sicher, ihr Aufstieg im Ministerium war nur noch eine Frage der Zeit. Ein paar kurze Bewegungen mit dem Zauberstab – und das magische Auge saß als Spion in ihrer Bürotür. Nichts mehr würde ihr nun entgehen, gar nichts.
***
Rufus Scrimgeour konnte nicht glauben, was er in dem hastig hingekritzelten Memo las – Todesser sollen sich ins Ministerium eingeschlichen haben. Das konnte doch nicht wahr sein! Wie hätten sie hineingelangen sollen? So schnell er konnte, eilte er zu seinem Kollegen in das benachbarte Büro: „Pius, hast du gehört, Todesser sollen hier sein, im Ministerium, weißt du etwas darüber?“ - Pius fasste den Minister am Arm, beruhigte ihn mit dieser vertraulichen Geste und sagte leichthin:„Das wird wieder eines von diesen wilden Gerüchten sein, so etwas hätte ich doch bemerkt, lassen Sie uns hinunter ins Atrium gehen und nachsehen, was los ist.“ Doch so weit kamen sie nicht, denn auf dem Flur – der Minister traute seinen Augen nicht – begegnete ihnen Bellatrix Lestrange. „Guten Tag, Herr Minister, ich freue mich, Sie zu sehen“ , doch sie sah dabei nicht Scrimgeour, sondern Thicknesse an, bevor sie sich mit einem zuckersüßen, falschen Lächeln an Rufus wandte: „Und Sie habe ich gesucht, Mr. Scrimgeour.“ Bevor der Minister auch nur reagieren konnte, war er schon mit unsichtbaren Seilen gefesselt und lag geschockt am Boden, außer Gefecht gesetzt von seinem eigenen Kollegen, der mit Bellatrix in stummem Einverständnis Blicke tauschte und ihre begrüßenden Worte mit einem bescheiden klingenden: „Noch nicht, meine Liebe, noch bin ich nicht offiziell ernannt worden ...“ kommentierte. Bellatrix tat dies mit einer lässigen Handbewegung ab: „Das ist nur eine Formsache, der Dunkle Lord wird das bald erledigen.“ Mit einem verächtlichen Blick auf den hilflos daliegenden Zaubereiminister bat sie Pius: „Helfen Sie mir, das da außer Sichtweite zu schaffen, am besten, in Ihr Büro – Ihr ehemaliges Büro!“ Scrimgeours entsetzter Blick wanderte von Pius zu Bellatrix und endlich wurde ihm klar, dass sein Kollege schon die ganze Zeit mit den Todessern gemeinsame Sache gemacht hatte. Er war es wohl auch gewesen, der ihnen Zugang zum Ministerium verschafft hatte. Ob er das freiwillig tat oder ob er unter dem Imperius-Fluch stand? Es spielte jetzt keine Rolle mehr, er war gefangen. - Ob die anderen noch kämpften? Ob sie eine Chance hatten? Wer weiß, wie viele noch unter dem Imperius-Fluch standen ... Und er hatte nichts gemerkt! Er war ein schlechter Minister! Er hatte versagt!
Bellatrix richtete ihren Zauberstab auf ihn – und auch wenn sie den Fluch nicht aussprach, so keuchte er doch vor Schmerzen. „Das war nur ein kleiner Vorgeschmack, Mr. Scrimgeour, Sie sollten kooperieren, wenn mein Meister mit Ihnen spricht, ansonsten ...“ – sie richtete ihren Zauberstab noch einmal mit einer raschen Bewegung auf ihn, und ein tiefer Schnitt zeigte sich auf seiner Wange, „... könnte es ein wenig unangenehm für Sie werden.“ Bellatrix schob den Ärmel ihres Umhangs ein Stück nach oben und mit glühendem Blick und bebenden Fingern strich sie sacht über ihr Dunkles Mal, bevor sie es drückte. Man hätte diese Geste fast zärtlich nennen können, wenn ein Wort wie Zärtlichkeit im Zusammenhang mit Bellatrix nicht völlig unangebracht wäre. Gleich würde er hier sein, ihr Meister, und er würde mit ihr zufrieden sein ... Dem Alten hier das Geheimnis von Harrys Versteck zu entreißen würde kein Problem sein. Sie genoss es, in sein vor Schmerzen verzerrtes Gesicht zu sehen. „Crucio.“ Bellatrix lächelte.
Schon ein wenig ironisch, dass Bellatrix das Medaillon nicht erkannte, das doch eine Weile bei ihnen zu Hause herumlag. Andererseits war das irgendwo tief im Müll vergraben, vielleicht bekam sie es ja nie zu Gesicht... Aber jetzt wissen wir, wie Umbridge an Moodys Auge gekommen ist. Ich lese gleich weiter.
Das Medaillon - es ist ja das echte - war ja erst durch Kreacher ins Haus gekommen, zu dieser Zeit war Bellatrix doch schon lange "aus dem Haus" - und Kreacher hatte es bestimmt gut versteckt, da er ja den Befehl seines Herrn Regulus ausführen wollte. Ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass sie es zu Gesicht bekommen hat. Ich bin davon ausgegangen, dass es sie an das falsche Medaillon, das Regulus in seinem Besitz hatte, erinnert haben könnte.
Stimmt, dann hat sie es vermutlich wirklich niemals gesehen. (Und wenn man das bedenkt, ist es verständlich, wie sauer Kreacher war, als man seine Verstecke ausgeräumt hat...)