ZitatMit den "Sonderlingen" glückte Franz Michael Felder etwas Riskantes: Er entwickelte eine Handlung, die in der unmittelbaren Zeit seiner Leser spielte, im vertrauten Dorf Schoppernau und im Bregenzerwald der Jahre um 1860. Seine Bauern, Handwerker und unerschrocken denkenden Frauen müssen mit den Alltagsproblemen einer bäuerlichen Welt zurechtkommen: Wetterschaden, Weideglück, krankes Vieh, Familienzwist und Liebeleien. Sie haben mit Generationskonflikten und Dorferweiterung zu tun, mit geizigen Frömmlern, Abergläubischen, mit Hütern des Herkommens und dem Erfolg eines Neuerers, der aus der Fremde mit anderen Ideen zurückkam und gar Bücher liest. Bald verschreien sie ihn und seinen Sohn als Sonderlinge.
(Gekürzter Klappentext, der volle verrät mir zu viel von der Handlung)
Ich wurde auf dieses Buch aufmersam, weil ich Zitate daraus im Rahmen einer Ausstellung gesehen habe und so viele kluge, nach wie vor aktuelle Gedanken vorgefunden habe, dass ich Lust bekam, den Roman zu lesen, in den diese Gedanken auch eingebettet waren.
Was das angeht, wurde ich nicht enttäuscht - Felder lässt seine Romanfiguren immer wieder Dinge diskutieren oder kommentieren, bei denen ich oft gedacht habe: "Das ist auch heute noch relevant."
Beispiele? - Arbeitende sind ganz von allein produktiver und fleißiger, wenn sie ausreichend Lohn bekommen und nicht ständig gemicromanaged werden (am Beispiel zweier Helfer bei der Heuernte, die mehr als den Durchschnittslohn dafür erhalten, und abgesehen davon in Ruhe gelassen werden, statt dass der Dienstgeber sie permanent beaufsichtigt hätte). - Leute befolgen Regeln und Gesetze viel gewissenhafter und bereitwilliger, wenn ihnen ihr Sinn und Zweck erklärt wird, statt "Weil die Obrigkeit es so sagt" entgegenzuwerfen (erklärt am Beispiel eines Gesetzes, das das Tragen von offenem Feuer im Viehstall unter Geldstrafe stellt - weil das nun mal in einem Holzstall in einem Dorf aus Holzgebäuden eher keine sonderlich tolle Idee ist ^^). - Sowohl eine rein intellektuelle Betrachtung eines menschlichen Problems ohne Einbeziehung von Menschen, als auch eine rein anekdotische Betrachtung ohne die Muster dahinter zu analysieren, führt zu einem ziemlichen Chaos (Das zieht sich so ziemlich durchs ganze Buch).
Das Buch hat auch sehr viele Kommentare zum Thema Armut, soziale Ausgrenzung, Umweltschutz und die Folgen der Ausbeutung an Mensch, Natur, Tier ... Ich finde generell, dass hier für einen 1866 vollendeten Roman erstaunlich viele Themen angesprochen sind, die ich auch 2025 noch hochaktuell finde und bei denen ich mich frage, warum die Menschen diese Lektionen immer noch nicht gelernt haben. Felder wird ja wohl kaum der erste Mensch sein, der diese ganzen Probleme angesprochen hat, auch zu seiner Zeit schon nicht.
Jetzt habe ich viel geschwafelt, zur Romanhandlung aber noch nicht viel erzählt. Das liegt daran, dass der Roman nur bedingt sowas wie eine durchgehende Handlung hat. In Episoden wird die Feindschaft zweier Männer skizziert: Sepp ist ein Mensch, der aus bitterster Armut es durch viel Arbeit, viel Mut und einiges an Eigendidaktik (plus einen Schubser Unterstützung aus der richtigen Richtung, aber eher Hilfe zur Selbsthilfe) es zu Reichtum gebracht hat, klug wirtschaftet, und seinen Sohn Franz zu einer Mischung aus Bauer und Intellektuellem erziehen will. Sein Nachbar Barthle ist, was heutzutage "old money" genannt werden würde, hat zwei Kinder, und stellt die Antithese dar - er befolgt ohne zu hinterfragen Brauchtum, religiöse Riten und handelt auch mal irrational. Er hat zwei Kinder, einen Sohn "Klausmelker" (ich weiß immer noch nicht, ob das ein Taufname oder ein Beiname ist) und eine Tochter Mariann. Beide neigen zu Wutausbrüchen. In Episoden wird nun sowohl erzählt, wie die Feindschaft der beiden Familien zunehmend eskaliert, als auch, wie die Kinder der Familien damit umgehen und nach Wegen suchen, sie zu überwinden.
Ich werde in jedem Fall noch sehr lange alle, die bei drei nicht auf dem Baum sind, über das Buch zuquasseln.